In einem 24-seitigen Papier haben CDU/CSU und SPD am 12. Januar die Ergebnisse der Sondierungsverhandlungen zur Bildung einer neuen großen Koalition im Bund vorgestellt. Beide Seiten hatten aus den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gelernt und haben binnen einer Woche und weitgehend ohne öffentliche Begleitmusik ein sehr kondensiertes Regierungsprogramm vorgelegt. Darin hat auch die Digitalisierung ihren Platz: CDU/CSU und SPD wollen, so die Präambel “den digitalen Wandel .. für die Menschen positiv gestalten”. Sehr konkret werden die beiden Partner dabei nicht. Digitale Themen scheinen an vielen Stellen des Textes auf, verharren überwiegend aber bei der Definition allgemeiner Ziele.
Dies wird besonders deutlich bei gesellschaftspolitischen Kernfragen der Digitalisierung, die das Sondierungspapier jeweils nur antippt:
- Im Bildungswesen soll eine stärkere Unterstützung der Länder durch den Bund bei Investitionen erfolgen, auch in Digitalisierung – was immer das heißt. Der vor der Wahl gescheiterte Digitalpakt zwischen Bund und Ländern findet keine Erwähnung.
- Im Gesundheitswesen wird nur in allgemeiner Form auf die Notwendigkeit von Digitalisierungsinvestitionen in Krankenhäusern hingewiesen. Kernfragen der Gesundheitsdigitalisierung, die Zukunft der Telematikinfrastruktur oder die Öffnung für Big-Data-Anwendungen, adressiert das Papier nicht.
- Die Digitalisierung des Arbeitsmarktes soll vor allem im Hinblick auf Clickworker (“Arbeit auf Abruf”) aufgegriffen werden, den Betroffenen “Planungs- und Einkommenssicherheit” verschafft. Wie? Das bleibt offen.
- Die Digitalisierung im Bereich Mobilität wird vor allem auf das automatisierte Fahren bezogen, dies soll bei Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt werden. Sonstige Rahmenbedingungen werden nicht erwähnt.
Konkreter Ankündigungen gibt es im Hinblick auf die Digitalisierung der Wirtschaft: Unternehmensinvestitionen in Digitalisierung sollen durch steuerliche Anreize gefördert werden, ebenso – lange umstritten – die Forschungsausgaben zumindest kleiner und mittlerer Unternehmen. Näheres wird sicherlich in dem noch auszuhandelnden Koalitionsvertrag vereinbart. Wirtschaftspolitisch erwartet worden war die Ankündigung, das Kartellrecht im Hinblick auf die Digitalisierung zu modernisieren. Eine spezielle Aussage zu möglicher Plattformregulierung findet sich nicht.
Naturgemäß greift das Sondierungspapier auch die Querschnittsfragen der Digitalisierung auf, zuvörderst die Infrastruktur. Die Koalition in-spe verabschiedet sich vom 50 Mbit/s-Ziel und strebt nun einen “flächendeckenden Ausbau von Gigabit-Netzen” bis 2025 an. Erlöse aus der Versteigerung von 5G-Frequenzen sollen dafür verwendet werden. Sie werden in einen Fonds eingebracht, der zweckgebunden zum Ausbau der digitalen Infrastruktur gedacht ist. Geschätzt wird ein öffentlicher Finanzierungsbedarf von 10-12 Mrd. Euro für diese Wahlperiode. Offenbar ist nicht daran gedacht, über die Versteigerungserlöse hinaus Mittel des Bundes bereitzustellen; auch die von den Jamaika-Partnern noch ins Auge gefasste weitere Privatisierung der Deutschen Telekom scheint damit vom Tisch.
Für das kurze Papier recht ausführlich sind die Aussagen zur Cybersicherheit, wenngleich nicht sehr konkret:
- Sicherheitsstandards für “IT-Strukturen und kritische Infrastrukturen” sollen – möglich europaweit – geschaffen werden. Auf was sich das bezieht, wie es sich zu der vorhandenen KRITIS-Regulierung, dem europäischen Vorschlag zur Cybersicherheitszertifizierung und dem geplanten deutschen Gütesiegel verhält – hierzu gibt das Papier keine Hinweise.
- Sicherheitsbehörden sollen im Internet gleichwertige Befugnisse wie außerhalb des Internets bekommen – eher ein Allgemeinplatz als eine Vereinbarung.
- Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Cyberabwehr soll ausgebaut und strukturell neu geordnet werden. An dieser Stelle scheint tatsächlich eine konkrete Maßnahme auf. Mit diesem Ziel im Rücken wird eine Neustrukturierung des Cyber-Abwehrzentrums unter Einbindung der Länder und eine Konsolidierung der recht unstrukturierten Landschaft von Bund-Länder-Cyber-Zusammenarbeit unumgänglich. Das wird auch Auswirkungen auf die Diskussion zwischen Polizeien, Nachrichtendiensten und IT-Sicherheitsbehörden über die Aufgabenverteilung bei der Cyber-Abwehr haben.
- Die zwischen CDU/CSU und SPD eigentlich schon konsentierte Verschärfung der Haftung für IT-Sicherheitsmängel ist in dem Sondierungspapier nur im Kapitel Recht und dort nur sehr am Rande angedeutet. Rechtlicher Änderungsbedarf in Folge der Digitalisierung wird zumindest von den Rechtspolitikern auch bei “haftungsrechtlichen Fragen” gesehen.
Interessant ist, was fehlt: Der in der vorigen Regierung bereits konsentierte Vorschlag des Innenministers, eine Befugnis für aktive Cyberoperationen zu schaffen (“Hack-Back”) wird ebenso wenig aufgegriffen wie das in den Jamaika-Sondierungen geeinigte Thema des Umgangs des Staates mit Schwachstellen.
Aus den verschiedenen weiteren Ankündigungen zu digitalen Themen, etwa die Schaffung eines Bürgerportals, sticht ein Thema heraus: CDU/CSU und SPD wollen ein “öffentlich verantwortetes” Zentrum für Künstliche Intelligenz schaffen, gemeinsam mit Frankreich. Damit soll der Nukleus einer europäischen Initiative gebildet werden.
In der Zusammenschau vermag das Ergebnispapier der Sondierungsrunde digitalpolitisch nicht zu überzeugen. Die meisten Themen werden nur angetippt, gerade bei den großen gesellschaftspolitischen Umbrüchen durch die Digitalisierung – Arbeitsmarkt, Gesundheit, Bildung, Mobilität – sind keine Ideen der neuen “GroKo” zu erkennen. Netzpolitische Kernthemen wie Datenschutz oder die Verantwortung von Plattformen finden überhaupt keine Erwähnung. Das Papier bleibt vom Anspruch an eine moderne Digitalpolitik her weit zurück hinter Koalitionsverträgen der letzten Jahre in Ländern wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen.
Es ist zu hoffen, dass die nach der Billigung des Papiers durch die drei Parteien anstehenden Koalitionsverhandlungen einen “digitalen Push” für die neue “GroKo” bringen!