Der deutsche Kofferhersteller RIMOWA bietet sein Anfang 2016 Koffer mit integriertem “Electronic Tag” an. Bei diesen Modellen kann bei Flugreisen auf das Aufkleben des Gepäckaufklebers verzichtet werden. Der “Baggage Tag” genannte Aufkleber entfällt, sein Inhalt wird in dem Display des Electronic Tag angezeigt. Für die Flugreisenden soll dadurch das Einchecken weiter erleichtert, für die Airlines weniger personalintensiv ausgestaltet werden. Der Ablauf ist wie folgt: Beim elektronischen Einchecken in der App der Airline (derzeit nur bei Lufthansa) kann ausgewählt werden, wieviel Gepäck mitgeführt werden soll und dass die Kofferanhänger elektronisch erbeten werden. Das Gepäck wird im Check-In-System registriert, die elektronischen Tags auf das Smartphone übertragen (derzeit nur für iPhone verfügbar). Dort muss sich eine spezielle RIMOWA-App befinden, die über Bluetooth den Gepäckaufkleber digital an den Koffer überträgt und dort unveränderlich speichert und anzeigt. Selbst Batterieversagen soll der e-Ink-Anzeige nichts anhaben können. Eine Veränderung des Tags durch Dritte, so der Hersteller, sei nicht möglich. Den Koffer mit dem elektronischen Tag kann man dann (im Idealfall) am Flughafen ohne Schlange-Stehen auf ein Band legen. Die Ausweitung auf weitere Smartphone-Betriebssysteme und der Einsatz bei weiteren Airlines seien geplant, so RIMOWA. Mit den neuen Koffern erreicht das Internet-of-Things die Gepäckabteile der Flugzeuge. Wohin ein Koffer transportiert wird, entscheidet sich nicht mehr anhand des papiernen Kofferanhängers, sondern durch die gespeicherten digitalen Daten. Die Anzeige des altmodischen Barcodes ist dabei sicherlich nur eine Übergangstechnologie, bis in späteren Schritten elektronisch sendende Tags in den Koffern das optische Lesen ganz ablösen.
4 Promille aller Koffer gehen bei Flugreisen verloren. Durch elektronische Tags sollen es weniger werden, weil keine Papieranhänger abreißen oder unlesbar werden können. Dafür kommt jetzt ein neues Risiko hinzu: das Hacken von Koffern. Wem es gelingt, sich in das elektronische Tag einzuhacken, bestimmt über den Reiseweg des Koffers. Staatliche und nicht-staatliche Hacker haben mit Sicherheit schon “Anwendungsszenarien” vor Augen: Ein Nachrichtendienst könnte Koffer auf einen Flughafen umlenken, auf den er Zugriff hat. Oder Dokumente heimlich versenden qua Vertauschen von Koffern während der Reise. Oder eine Zielperson mürbe machen durch Verschwinden-Lassen ihres Gepäcks. Ein Erpresser könnte eine Denial-of-Service-Attacke auf einen Flughafen oder eine Fluggesellschaft verüben, indem er tausende Koffer fälschlich an einen Ort oder in eine Maschine lenkt. Natürlich sei das alles nicht möglich, so Hersteller und Fluggesellschaft, weil die Tags gegen Veränderungen geschützt sind. Nicht ganz einfach bei der komplexen Systemarchitektur aus App der Fluggesellschaft, App des Kofferherstellers, iPhone-Betriebssystem und Firmware des Koffers. Und mit drahtloser Kommunikation über eine offene Schnittstelle wie Bluetooth. Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Hacks des Systems kommen. Für diesen Fall hat der Hersteller im Übrigen vorgesehen, dass man ein Firmware-Update für den Koffer machen kann.
Das Risiko trägt am Ende der Besitzer des Koffers. Wenn das Urlaubsgepäck statt im Hotel in Italien auf einem brasilianischen Flughafen strandet, liegt es bestimmt am vergessenen Firmware-Update …